Wir sind mitten drin

Sieht man sich den neuen Rahmenlehrplan für WAT (Wirtschaft-Arbeit-Technik)  an, so hat man das Gefühl, dass alles, was ge­sellschaftlich relevant und brisant ist, alles lebenspraktisch Notwendige in dieses Fach gestopft wor­den ist. Das hat den Vorteil, dass in diesem Fach eine Freiheit des Unterrichts in Sachen Organisati­on und Inhalt gegeben ist, von der andere Fächer nur träumen können: fächerübergreifend, projektorientiert und nahe an der Praxis, das sind nur einige der Schlag­wörter, die das neue Rahmenlehrplankonzept bestimmen. Durch die Umbenennung von Arbeits­lehre in WAT (Wirtschaft-Arbeit-Technik) wird der Fokus von der Auseinandersetzung mit den unter­schiedlichsten Tätigkeitsfeldern des Menschen umgelenkt auf die Auseinandersetzung mit den öko­nomischen Rahmenbedingungen wie unternehmerisches Handeln, nachhaltiges Wirtschaften, kritisches Konsumverhalten etc. der Fokus verschiebt sich von der konkreten Arbeitsstätte – den Werkstätten, der eigentlichen Produktionsstätte – auf die Bühne des unendlich weitgefächerten un­ternehmerischen Handelns mit dem Konsumenten als „Zielscheibe“, als aktiver wie auch als passi­ver Mitspieler.

Die Welt der Produktion „verschwindet“ immer mehr aus unseren Augen, die Backwaren kom­men bereits als halbfertiges Produkt in die vielen Backshops, werden dort nur mehr aufgebacken, die eigentliche Entwicklungsarbeit, die Produktion z.B. der Croissants entschwindet in ein Reich hochtechnologisierter Hallen, der frühere Bäcker wird in erster Linie ein Überwacher komplexer hochtechnologisierter Vorgänge, der Output ist Massenware, die es einem herkömmlichen Bäcker praktisch unmöglich macht, damit in irgendeiner Form zu konkurrieren – Roboter murren und kla­gen nicht, sie tun einfach das, was in sie hinein programmiert wurde.

Wir stehen mitten in einem Prozess, wo klassische menschliche Produktionstätigkeiten – auch hochqualifizierter Art – von Robotern und Hochtechnologie übernommen werden, verbunden mit komplexer Logistik, deren Rückgrat Informations- und Kommunikationstechnologie in seinen unter­schiedlichsten Ausprägungen ausmacht. Alltägliche Arbeiten verschwinden so immer öfters aus unserem Visier, fast so, als würden all diese vielen Produkte in einer „black box“ gefertigt (Sweatshops, Produktionsstraßen, genau programmierte Maschinen). Das Hauptziel der Ökonomie verlagert sich immer mehr dahingehend wie diese Produkte dem Konsumenten kommuniziert wer­den können. Hauptaufgabe heutigen Marketings, bei dem gerade die hochentwickelten Informati­onstechnologien rund um das Internet eine entscheidende Rolle spielen, ist es all diese „nonames“, produziert in irgendwelchen Ecken dieser Erde, zu (re-)animieren, sie zu „beseelen“ um so wieder eine Brücke zur menschlichen Vorstellungs- und Wunschwelt zu schaffen mit dem letztendlichen Ziel, diese Produkte auch zu kaufen bzw. zu verkaufen.
Wird die Entlastung dadurch, dass im Produktionsbereich immer komplexere Aufgaben von Ro­botern und Hochtechnologie abgenommen wird, schlussendlich zu einer enormen Belastung? Smarte Technologien breiten sich rasant aus, das smarte Haus, das smarte Auto, Drohnen werden bald den Luftraum bevölkern, wir nähern uns einem Szenario, das eine allumfassende Überwa­chung jederzeit möglich macht, klassische Jobs tagtäglich obsolet gemacht werden, das Gesicht der Arbeit und der Produktion ist gerade im Begriff sich radikal zu verändern, in 20-30 Jahren wird es Jobs geben, von denen wir heute noch überhaupt keine Vorstellung haben, viele „Klassiker“ hinge­gen werden verschwunden sein.

Vor dieser Herausforderung steht auch die Schule und speziell WAT. In welcher Form kann sie Orientierung sein? BSO – Berufs- und Studienorientierung versucht eine Antwort, doch Beratung und Information werden nicht ausreichen, es geht darum, dass das, was gemeinhin als „Welt da draußen“ bezeichnet wird, als „Berufswelt“ in ein neu definiertes Verhältnis zur Theorie gestellt wird. Theorie und Praxis sind heute durch die enorme Präsenz virtueller Welten dabei zu ver­schwimmen: was ist an einem Onlineshop real, was ist virtuell, wo ist die Schnittstelle? Wo ist es Kopfkino, wann hört es auf und wird knallharte Realität?

Theorie und Praxis müssen in ein neues Verhältnis gesetzt werden, und gerade in einem Fach wie WAT wird es v.a. darum gehen, die großen Bögen vom Handwerk bis hin zur computergestütz­ten Produktion in fast aufklärerischer Form aufzuzeigen und sie in Bezug auf unternehmerisches Handeln neu zu bewerten. So reicht der Bogen vom selbstgebauten Möbel bis hin zur computerge­steuertes LED-Lichterkette, vom Pflanzen im Garten bis hin zur smarten Bewässerungsvorrichtung.
Wir brauchen den direkten sinnlichen Umgang mit der „Welt“ was immer das sein mag, dafür steht der Garten, die Werkstätten: Orte des direkten Zu- und Umgangs mit Natur und Ökologie – Orte der direkten sinnlichen Erfahrung. Gleichzeitig brauchen wir ein verstärktes Verständnis virtu­eller Welten, deren Basis eine sich rasant entwickelnde Informationstechnologie ist, in deren Zentrum die Programmierbarkeit von „Welten“ steht. Der Erwerb neuer Kompetenzen wie dem „Co­ding“ (engl: Programmierung) gehen weit über das Fach WAT hinaus und sind längst nicht mehr nur eine Domäne der Informatik.
Wir stehen am Anfang einer großen Aufgabe die darin besteht, im Sinne der Aufklärung die Al­phabetisierung auf dem Gebiet der Computersprachen, dem Umgang mit Robotern und komplexen ökonomischen Systemen voranzutreiben, neue Kompetenzen auf dem Gebiet der Informations­technologie zu entwickeln, denn nur das Verstehen dieser Logiken wird uns auch fit machen, die Herausforderungen der Zukunft angemessen zu bewältigen – und wir brauchen Handlungs­kompetenz.

Im Zentrum von WAT standen und stehen noch immer die Werkstätten, deren Erscheinungsbild sich jedoch grundlegend verändert hat. Es wird in Zukunft vermehrt darum gehen, diesen komple­xen Strukturen ein Gesicht zu geben, Bögen „von der Hand bis zum Computer“ zu spannen, fatal wäre es, dieses Fach als letzten Hort praktischen Handelns auf handwerklichem Niveau gleichsam „einzufrieren“. „To put into practice!“ – Wie werden heute Projekte umgesetzt, Dinge produziert, Pro­dukte „erzeugt“? Wie wird das gemacht, welche „Mächte“ sind da heute am Werk? Neben klassischen hand­werklichen Kompetenzen werden es – verstanden in einem weiten Sinne – auch unternehmerische Kompetenzen sein, die z.B. in Form von Schülerfirmen entwickelt werden müssen. So gesehen geht es auch um Transparenz, die vom Menschen konstruierte Welten sinnlich erfahrbar macht und zum entsprechenden Handeln motiviert.